Blogs in deutscher Sprache und Wege zum Glück

Manchmal erhalte ich Leserzuschriften von Leuten, die den gleichen Vornamen haben, wie ich. Pfadfinderehrenwort, dass ich mir nicht selbst E-Mails schreibe. Ehrlich. Und selbst wenn, dann hätte ich mir hier selbst eine interessante Frage gestellt, was sie nicht schlechter machen würde:

Hallo Marcel,

ich habe eine kurze Frage an diesem grauen Vormittag: Hast du jemals irgendwo erklärt, warum du nicht mehr auf Englisch und doch wieder auf Deutsch bloggst, obwohl deine Betriebssysteme auf Englisch sind, du englischsprachige Bücher liest und mit AR doch auch ein ziemlich internationales Thema gefunden hast? Das würde mich wirklich interessieren, weil ich mich einfach nicht entscheiden kann, was sowohl kurz- als auch langfristig die bessere Entscheidung ist.

Danke für eine Antwort,
Marcel

Danke für die Frage, Marcel. Dieser Blog fing auf Deutsch an, war dann ein paar Jahre primär in englischer Sprache verfügbar und ist jetzt offensichtlich wieder deutsch.

Als ich damals anfing auf Deutsch zu schreiben blieb mir keine Wahl, ich konnte kein Englisch. Als dann absehbar war, dass mein eigener Anspruch an mich die örtliche und sprachliche Provinz übersteigt, wechselte ich auf holpriges Englisch um besser darin zu werden und die Wahrscheinlichkeit zu steigern, dass internationales Publikum mich als Designer und intelligenten Menschen entdeckt.

Über die Jahre merkte ich, dass ich weder eine berühmte Person im Internet sein möchte, noch ein angesehener Designer in einer der sechs angesagten Tech-Firmen aus Silicon Valley. Angebote gab es, aber meine anfänglichen Versuche in Selbstreflexion ergaben, dass mich das nicht glücklich machen würde. Maximale Leserzahlen, Follower und Reichweite interessieren mich ebenfalls nicht. Nichts davon wird in mehr Glück resultieren.

Ja, ich will, dass das hier jemand liest (Hi! Danke!), sonst würde ich es nicht schreiben. Ich schreibe nicht ausschließlich für mich selbst, das müsste nicht öffentlich passieren. Ich schreibe aber auch nicht ausschließlich für das Ziel Leser glücklich zu machen. Das passiert, wenn überhaupt, eher nebenbei. Dieser Blog wird mit neuen Beiträgen gefüllt, weil es mir Freude bereitet zu „kreieren“. Jeder Beitrag ist ein kleines Produkt. Etwas das ich formen kann, irgendwann entscheide, dass er gut genug ist und dann durch die Veröffentlichung als abgeschlossen betrachte. Jeder fertige Beitrag erfüllt mich ein bisschen mit Freude. Ein Blog voller guter Inhalte umso mehr.

Um möglichst viel zu kreieren muss man reduzieren, was einem davon abhalten könnte. Zu hoher Anspruch an Inhalte gehört dazu. Ich weiß, dass meine Buchrezensionen diesen Titel kaum verdient haben. Ich weiß auch, dass ich sehr viel bessere schreiben könnte, würde ich mehr Energie darauf verwenden. Das daraus gewonnene Glück würde aber nicht in angemessener Relation mitwachsen. Was dann schnell dazu führen würde, dass ich aufhöre Blogposts zu schreiben, mich fühle als wäre ich ein Versager und mich letztendlich selbst um die Freude bringe, die dieser Blog theoretisch erzeugen soll.

Das ist, mit ziemlicher Sicherheit, einer der Gründe für das Ende vieler Blogs. Steigende Professionalisierung, steigender Anspruch, steigender Druck und der leichte Ausweg einfach aufzuhören. Warum kreieren (was für ein hässliches Wort), wenn man dadurch mehr Stress als Freude empfindet? Been there, done that. Ungefähr 10 Mal.

Damit komme ich auch zu meiner relativ profanen Antwort zur Frage, die ich mir auf keinen Fall selbst als E-Mail geschickt habe: Weil es leichter ist.

Nur ein bisschen. Mein Job findet in erster Linie auf Englisch statt, ich spreche und schreibe fließend genug, dass es mir nicht sehr viel schwerer fallen würde diesen Beitrag auf Englisch zu schreiben. Aber doch ein bisschen. Es wäre klüger auf Englisch zu schreiben. Die AR-Posts haben natürlich ein wenig den Hintergrund, dass ich in fünf Jahren sagen können will, dass ich mich seit Jahren mit dem Thema beschäftige. Natürlich wäre es clever daran zu arbeiten ein international angesehener Experte auf diesem Gebiet zu werden. Man könnte sogar argumentieren, dass es unethisch ist Wissen hinter einer Sprachbarriere zu verstecken. Stimmt alles. Was aber auch stimmt: Die Wahrscheinlichkeit, dass ich aufhöre zu schreiben und mir damit das Glücksgefühl nehme, das diese Beiträge zu erstellen mir gibt, steigt mit jeder Hürde, die ich mir selbst in den Weg lege. Und Beiträge auf Deutsch sind 100 % mehr Beiträge als keine Beiträge auf Englisch.


So pathetisch es klingt, aber am Ende muss man verstehen, was man wirklich als Ziel verfolgen will um sich möglichst gut zu fühlen. Ich glaube, dass kaum jemand genug Energie in die Beantwortung dieser sehr zentralen Frage investiert. Wenn man die Antwort darauf gefunden hat – und sie kann sich im Laufe des Lebens ändern – erschließt sich von dort so einiges anderes. Auch in welcher Sprache man einen Blog führen möchte.

Hallo, ich bin Marcel, zeichne selten Comics, schreibe manchmal Texte, gestalte öfter Digitale Produkte und interessiere mich für Bücher, Digitalen Minimalismus, Philosophie, Kunst und Videospiele. 👋

4 Kommentare

  • Hallo Marcel. Vielen Dank für die ausführliche Beantwortung meiner Frage. Ich hoffe sie hilft meinem permanent überforderten Gehirn damit, in Zukunft einfacher Entscheidungen treffen zu können, anstatt ewig vor mich hin zu grübeln.

    Mit freundlichen Grüßen,
    dein Marcel

    PS: Also nicht dieser Marcel, sondern der andere Marcel. Womöglich sollte es noch mehr Marcels geben, um die Welt ins absolute Vornamenchaos zu stürzen. Nur so eine Idee…

  • „Um möglichst viel zu kreieren muss man reduzieren, was einem davon abhalten könnte. Zu hoher Anspruch an Inhalte gehört dazu“

    Schön gesagt und ich denke damit triffst du den Nagel auf den Kopf. Der Abgleich von innerem Anspruch und Freude sollte das Problem der meisten Kreativen sein…

  • „Maximale Leserzahlen, Follower und Reichweite interessieren mich ebenfalls nicht. Nichts davon wird in mehr Glück resultieren.“

    Hi Marcel,
    du schreibst so viele Dinge, die mich seit einigen Jahren auch beschäftigen. Gerade auch im Bezug auf das Bloggen.

    Ich selbst kann es auch nicht mehr nachvollziehen, warum sich Menschen durch Vanity-Metriken definieren.

    Likes, Herzchen, Warum? Was ist so schlecht daran, einfach normal zu sein? Ohne immer auf diese Zahlen zu schielen und sich Bestätigung von Menschen in einer Onlinewelt zu holen, die man überhaupt nicht kennt.
    Klar, manche Sachen sind echt cool. Aber wenn man sich 95 % der sogenannten Influencer auf Instagram ansieht, dann fragt man sich doch. Was soll das?

    Ich blogge seit 2000 auf verschiedenen Blogs. Aber ich kann es heute trotz Social Media und allem, was dazukam, und wieder ging immer noch nicht ab, wenn statt nach dem Namen oder dem Blog zuerst nach Besuchern und Reichweite gefragt wird.

    Lese UARRR weiterhin gerne.

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